Kolonialer Humor: Die Herrschaft des Absurden

Kolonialer Humor ist ein oft vernachlässigtes Genre. Es gibt über dieses Thema kaum historische Arbeiten.  Dennoch ist dieser Humor eine wahre Fundgrube für die Sichtweisen der deutschen Kolonialherren. Ein häufiges Stilmittel der kolonialen Scherzbolde war die Absurdität. Sie entstand aus dem Zusammentreffen zwischen der deutschen und der ostafrikanischen Welt. Aus der Sicht der Deutschen hatten diese beiden Welten unterschiedliche Werte und Weltsichten und waren kaum miteinander kompatibel. Missverständnisse waren oft das Resultat. So sehr die Ostafrikaner sich bemühten, die Deutschen zu verstehen, es gelang ihnen nicht. Daraus resultieren absurde Situationen. 
Für die Deutschen war koloniale Herrschaft offensichtlich eine Herrschaft des Absurden. So oft sie auch versuchten, den Ostafrikaner ihre Welt nahe zu bringen, es endete oft genug in absurder Komik. Das sprach nicht gerade für die Erfolgsaussichten kolonialer Zivilisierungsbemühungen. Vielleicht nicht immer ganz bewusst fingen Kolonialkomiker dieses Scheitern ein. Ihre Interpretation war freilich eine ganze andere: Zwischen  "ihnen" und "uns" gab es eine unüberwindliche Hürde. Das Unverständnis der Afrikaner gegenüber den Deutschen war das Resultat ihrer geringeren Intelligenz. 
Allerdings findet man das Absurde nicht nur in Scherzgesschichten, sondern oft genug auch in offiziellen Berichten oder persönlichen Memoiren und Reiseberichten. Hier entspringt die Absurdität eher dem Unverständnis der Deutschen gegenüber den Realitäten Ostafrikas. Die Sucht nach Anerkennung ihrer selbst-verliehenen Grandiosität durch die Afrikaner ist die Hauptverdächtige für die Entstehung dieser ungewollten Absurdität.

Ich muss gestehen, dass ich für die Art absurder Komik sehr anfällig bin und ich befürchte, dass mein spontanes Lachen beim Lesen einiger Berichte meine Kollegen und Kolleginnen in den Archiven und Bibliotheken eins ums andere Mal gestört haben mag. Aber diese Absurditäten sind oft so selbst-entlarvend, dass ich nicht selten Schwierigkeiten hatte, die deutschen Kolonialherren  ernst zu nehmen. Vielleicht ist dies aber ein gewisses Korrektiv gegenüber einer Sicht, die die Deutschen als allmächtig und brutal ansieht. Oft genug aber waren sie auch hilflos und verstrickten sich in Widersprüche.  

Ein besonderer Vertreter der Gattung kolonialer Komiker ist Hermann von Bengerstorf. Ich habe nicht viel über ihn in Erfahrung bringen können. Er war vermutlich ein ehemaliger Offizier der Schutztruppe, der sich nach seiner Dienstzeit in Ostafrika ansiedelte. In seinen Erinnerungen an seine Jahre in der Kolonie nutzt er das Stilmittel des Absurden bis zum Exzess. Ein besonders markantes Beispiel ist die Schilderung einer Hinrichtung. Wie jedes moderne Staatswesen war auch den deutschen Kolonialbehörden daran gelegen, die von ihnen ausgeübte Gewalt einem rationalen Regime zu unterwerfen. Daher der zeremonielle Charakter der Hinrichtung mit Parade der Schutztruppe, die Verkündung des Todesurteils und der abschließenden Begutachtung des Erfolgs der Hinrichtung durch einen Arzt. Dieser Ablauf war in einem Dekret des Gouvernements genau geregelt. 
In den von Bengerstorf geschildeten Ereignissen geht die Hinrichtung schief, der gehängte überlebt den Galgen. So meldet es zumindest eine der Wachen. Was folgt ist eine Komödie, in der die Bürokratie des Militärs und der deutschen Justiz ad absurdum geführt wird. Aufgelöst wird die Situation durch ein Askari, der offensichtlich dem Gehängten bei seinem letzten Weg behilflich war. Für die Askari war koloniale Gewalt eben nicht eine Frage bürokratischer Regelwerke, sondern willkürlich und gnadenlos. Das hatten sie auf den unzähligen Feldzügen unter der Regie deutscher Offiziere eingeübt. Ein afrikanisches Menschenleben war wenig wert und schon  gar nicht die komplizierte Antwort auf die Frage, was nach einem missglückten Hinrichtungsversuch geschehen sollte.


Ein Askari mit Kettengefangenen (Quelle: DKG Archiv)





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Unnötige Beunruhigung.

Großer Volksauflauf. - Das Boma-Tor war dicht besetzt von der Menge. Viele afrikanischen Stämme waren dort vertreten: Der überlebensgroße Mazai, der schlaue Somali, häßliche Sudanesen, ostafrikanische Küstenneger, kannibalische Manyema und allerlei verschiedene Völkerstämme des Innern: Heute gab es wieder einmal ein Ereignis: Zwei Mörder sollten gehenkt werden. Auf dem Bomahofe ertönten kurze Kommandoworte. Die Kompagnie trat an. Dann wurden die Delinquenten aus ihren Zellen geholt. Mit auf dem Rücken gebundenen Händen, zwischen starker Askaribewachung gehend, wurden sie an die Spitze der Kompagnie geführt. Sämtliche Europäer waren anwesend. Die Truppe setzte sich in Marsch — dem Richtplatze zu. Die Kompagnie marschierte zur Front auf. Der Tambour schlägt drei Wirbel. Der Hauptmann verliest erst deutsch, dann kisuaheli das Todesurteil, ein Dolmetscher übersetzt es in die Muttersprache der Delinquenten, — und wieder drei Wirbel vom Tambour. Die Verurteilten beginnen in ihrer Sprache zu singen. Der erste wird an den Galgen geführt
Sein Genosse war der Anstifter zum Mord. Er hat dafür als Strafverschärfung das zweifelhafte Vergnügen, sich die Sache ansehen zu können, die auch mit ihm in wenigen Minuten vor sich gehen wird. Der Galgen ist in Reckform erbaut. Von der Mitte des Reckes hängt eine Schlinge herunter. Der Strick ist mit grüner Seife beschmiert, damit die Schlinge leicht gleitet. Die Stellage besteht aus einem großen Trittbrett, welches links und rechts auf zwei Kisten aufliegt. Der Delinquent tritt darauf. Ein Sudanesenschausch steckt ihm den Kopf durch die Schlinge, achtet darauf, daß der Knoten im Nacken liegt. In demselben Augenblick reißt ein Askari



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das Trittbrett fort.
Ein leichtes Zucken — der Mord ist gerächt.
Der Sanitätsunteroffizier stellt den Tod fest und meldet die Feststellung. Im allgemeinen bleibt der Körper des Gehenkten bis zum Abend am Galgen. Erst dann haben die Angehörigen das Recht, ihn zu begraben. Heute aber reichte der Galgen nicht. Nummer zwei harrte ja auch noch der Hinrichtung. Man nahm deshalb den Körper ab und legte ihn seitwärts in den Busch. Als auch des Zweiten Verbrechen gesühnt war, tritt die Kompagnie an. Mit klingendem Spiel geht es zurück in die Boma. Ein jeder hat das Gefühl, eine eiserne Pflicht getan zu haben. Die Europäer begeben sich in ihre Messe, um das Frühstück einzunehmen. ,,Hodi!" ( Anruf, vor dem Betreten eines Hauses = Heda!)
Ein Bote kommt vom Markt. Er keucht von schnellem Lauf. „Bwana mkubwa, der ain Richtplatz stehende Posten hat eine Meldung zu machen!" „Was für eine?" „Das weiß ich nicht. Er hat mich gesandt, um einen zweiten Posten von der Wache zu holen, der ihn für eine Weile ablöse, damit er die Meldung machen könne." Ein kurzer Befehl. Der Wachthabende besorgt die Ablösung. Ein paar Minuten schweigen die Europäer in neugieriger Erwartung. Was für eine Meldung mag da kommen? „Hören Sie, Doktor, der erste Kerl wird doch tot sein?" Donnerwetterl Wie ein Blitz schießt das Bild durch die Tafelrunde der vier Europäer. „Was, Doktor?" „Na natürlich ist er tot." „Wenn nur." Verdammt! Was würde man machen, wenn er lebte? Es vergingen einige bange Minuten. Da

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fiel etwas schwer Beschuhtes in das Bomator. Das war ein Soldat. Nur Europäer und Soldaten trugen in jenen Tagen Stiefel in Afrika. Den Hauptmann hielt es nicht länger. Er ging hinaus. „Was ist?" ruft er dem heranstürmenden Askari entgegen. „Der Erste ist noch nicht tot, er atmet, er ist ganz gesund!" Da war's! Wie ein Blitzschlag fuhr das längst Geahnte durch aller Herzen. Nur die Boys — diese Brutalen! — kicherten. Das ist der Charakter des Schwarzen! Das ist sein unverfälschtes Wesen! Klopfenden Herzens begaben sich die vier Weißen nach dem Richtplatz. Zuerst herrschte Leichenstille. Dann wagte der eine und der andere die Frage aufzuwerfen: „Was nun?"
Und keine Antwort. Wie ist es doch zu Hause, wenn das Beil des Büttels nur ritzt? Woher hat Ritzebüttel bei Hamburg seinen Namen? Mußte der Mann begnadigt werden? Hätte man darüber nicht in irgendeiner Vorschrift nachlesen sollen, bevor man zu dem Wiedererwachten ging? Afrikanische Erfahrung war hier in vier alten Afrikanern genug verkörpert. Der Doktor erzählte kurz einen Fall, in welchem der Delinquent mitten bei der Hinrichtung entlaufen und niedergeschossen worden sei, ohne aber tödlich verletzt worden zu sein. Nun wußte er aber nicht, wie die Sache später mit ihm geworden war, nach erfolgter Heilung. Der Arzt hatte die Station infolge Urlaubs früher verlassen. Da wurde der Galgen sichtbar. Da baumelte der Zweite. Der Hauptmann stand unwillkürlich still. Die übrigen taten dasselbe. Wenn man nur einen Ausweg wüßte. Seelenruhig stand der dort eben auf Posten gezogene Askari. Er riß, als er die Europäer nähertreten sah, die Hacken klappend zusammen, und ein strammer Präsentiergriff folgte. Es ist etwas Eigenartiges um den militärischen Drill. Er verleiht eine Sicherheit im Auftreten, die sich vor dem Feinde so gut bewährt wie in allen schwierigen

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Lebenslagen. Der Hauptmann grüßte. Ruhig schritten dann die Europäer in den abseits gelegenen Busch. Der Arzt ging vor. Ein banger Augenblick. Dann tritt er zurück, salutiert und meldet gehorsamst den Tod. Mausetot war er. Was der Askari gesehen haben mochte — wer weiß das?


l) Befestigung, Festung, Enropäerniederlassung.


(Quelle: Bengerstorf, Hermann von. 1914. Unter der Tropensonne Afrikas. Hamburg: Thaden.)

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